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Stand: 11.11.2021

Pressemitteilung

Die Kinder- und Jugendlichen-Vertretung (KiJu-Rat) beschäftigt sich mit der Geschichte der Heimerziehung

17 Jugendliche und Mitarbeiter aus dem Haus Carl Sonnenschein besuchen das ehemalige Mädchenerziehungsheim "Fuldatal", um einen Eindruck von der geschlossenen Heimunterbringung zu bekommen, die erst 1973 beendet wurde.

Wir sehen ein altes großes graues Gebäude. Es sieht nun aus wie ein altes Schloss mit mehreren Etagen. Das ehemalige Klostergebäude in Guxhagen-Breitenau

Wir werden sehr herzlich von Frau Prof. Dr. Christina Vanja, Landeswohlfahrtsverband Hessen (LWV) Archivdirektorin, Frau Emma Taut, Vitos Kurhessen, und Frau Silke Meyenberg, ebenfalls LWV Kassel, begrüßt.

Nach einem kurzen Einführungsvortrag  machen wir einen Rundgang durch die Räumlichkeiten des ehemaligen Mädchenheimes.

Bei der Führung durch die Räume des Mädchenerziehungsheimes können wir die bedrückende Atmosphäre spüren: dicke Mauern, Kälte im Innenraum, Lichtschalter außerhalb der Zimmer, Gitter vor den Fenstern, Milchglasscheibe im "Besinnungsraum" ohne Türgriff, mit Toilette und Holzpritsche.

Aus kahlen glasierten weißen Steinen wurden Reihenduschen ohne Vorhang nur mit einer seitlichen Trennung gebaut.Duschräume

Die Bewohnerinnen haben keinerlei Intimsphäre, es gibt Gemeinschaftsduschen ohne Vorhänge, sie können niemals alleine sein, sie werden ständig  während der Arbeit und in der Freizeit beaufsichtigt. Ihre "freie" Zeit müssen sie immer gemeinsam mit Anderen verbringen.

Die Mädchen haben keinerlei Rechte und unterliegen einer vollkommen autoritären Führung durch die Heimleitung. Es gibt keine Möglichkeiten, sich über die entwürdigende Behandlung zu beschweren. Riskante Fluchtversuche führen oft zu schweren Verletzungen, da die Mädchen hohe Mauern überwinden müssen.

Das Leben ist auf das Arbeiten und die Vorbereitung  auf die traditionelle Frauenrolle ausgerichtet.  In der Regel erwerben die Mädchen keinen Schulabschluss, der Besuch einer Schule außerhalb des Geländes entfällt, zur Weiterbildung werden Berufsschullehrerinnen in das Haus geholt.

Die Jugendlichen werden zu schwerer körperlicher Arbeit in landwirtschaftlichen oder hauswirtschaftlichen  Betrieben ohne Entlohnung herangezogen. 

Wegen nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge für diese Arbeitszeit  führt das zu Versorgungslücken bei der Altersrente. Diese Lücken werden teilweise durch den Fond "Heimerziehung West", in den Bund, Länder und Kirchen eingezahlt haben, ausgeglichen.

Wir sehen einen alten kahlen Kellerraum. Die Tür hat keine Klinke an der Innenseite. Ein Toilettenkörper ohne Garnitur ist neben der Tür gebaut.„Besinnungsraum“

Durch die völlige Isolation in dem Mädchenheim sollen die Jugendlichen den "schädlichen"  Einflüssen ihrer Familien und ihres früheren Lebensumfeldes entzogen werden.

Die sogenannten Aufseherinnen haben überwiegend keine pädagogische Ausbildung, leben gemeinsam mit den Mädchen auf den Wohnetagen und betrachten das Heim als ihren Lebensmittelpunkt.  Sie  passen sich kritiklos dem Erziehungsstil der Heimleiterin an.

Bemerkenswert für uns ist  die Äußerung von Frau Prof  Dr. Vanja, die in einem Gespräch mit der ehemaligen Heimleiterin  hervorgehoben hat,  dass manche Mädchen nicht wegen, sondern  trotz dieser restriktiven Erziehung, noch ein einigermaßen normales  Leben führen können.

Alle Beteiligten sind sehr beeindruckt und können sich kaum vorstellen, dass vor nicht mal 50 Jahren Mädchen unter solchen Bedingungen leben mussten.

In einer abschließenden Gesprächsrunde werden viele offene Fragen von Frau Prof. Dr. Vanja beantwortet. Wir berichten über die Arbeit des KiJu-Rates und über die Geschichte des HCS.

Weitere Informationen 

Der LWV als Träger der Einrichtung unternimmt viel, um die Zustände in dem damaligen Mädchenerziehungsheim wissenschaftlich aufzuarbeiten. Aktuell untersucht ein Doktorand die Biographien und Lebensumstände von Mädchen anhand der Entwicklungsberichte von damals.

Carla Schelenz
Paul Hillenbrand

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